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Kinderschutz während der Corona-Pandemie: Kontaktbeschränkungen wirkten sich unterschiedlich auf Meldewege aus

Die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat) im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund veröffentlicht neue Analysen zu den Gefährdungseinschätzungen der Jugendämter im Zeitraum Mai 2020 bis März 2021.

Die Gesamtzahlen zu den Gefährdungseinschätzungen der Jugendämter zu Fällen möglicher Kindeswohlgefährdung haben sich im Zeitraum der Corona-Pandemie im Vergleich zu den Vorjahren überraschend wenig verändert. Diese Erkenntnis hatte die AKJStat bereits in mehreren früheren Analysen herausgearbeitet, und sie bestätigt sich auch in der aktuellsten Untersuchung, die den Zeitraum Mai 2020 bis März 2021 umfasst. In der Verteilung der Verfahren über die Monate zeigen sich allerdings einige Besonderheiten, die wahrscheinlich auf Auswirkungen der Pandemie zurückzuführen sind. So bearbeiteten die Jugendämter insbesondere im Monat Juni 2020 sowie im Herbst 2020 überproportional viele Verdachtsfälle möglicher Kindeswohlgefährdung. Die neuen Analysen verdeutlichen nun, inwieweit die monatlichen Schwankungen mit der eingeschränkten Mobilität während der Kontaktbeschränkungen zusammenhängen.

So wurden die Meldungen von Personen, die selbst betroffen sind (Minderjährige selbst; Eltern) und die einiger Institutionen (Polizei und Justiz; Sozialer Dienst/Jugendämter; Andere Einrichtungen/Dienste der Erziehungshilfe) sowie Bekannter und Nachbarn offenbar kaum von der geringen Mobilität im Rahmen der Kontaktbeschränkungen beeinträchtigt. Bei Schulen und Kindertageseinrichtungen scheinen die Kontaktbeschränkungen hingegen einen deutlichen Effekt gehabt zu haben. Hier deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Jugendämter im zweiten Quartal 2020 – also einer Zeit, in der Schulen und Kitas nur mit großen Einschränkungen genutzt werden konnten – weniger Hinweise auf mögliche Gefährdungen auf diesem Wege erhalten haben. Die im Frühjahr und Sommer über Schulen und Kindertageseinrichtungen zunächst nicht gemeldeten Fälle wurden allerdings möglicherweise noch im (späten) Sommer und im Herbst entdeckt, als die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden und die Mobilität wieder angestiegen ist: Dass in diesem Zeitraum mehr Verfahren als in den Vorjahren bearbeitet wurden, die auf Hinweise von Schulen und Kindertageseinrichtungen zurückgehen, deutet auf mögliche „Nachholeffekte“ hin.

Dass diese Zusammenhänge und möglichen Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen auf die Meldewege erst jetzt bei genaueren Analysen sichtbar werden, ist darauf zurückzuführen, dass sie insgesamt eher moderat erscheinen. Insgesamt scheinen die Kommunikations- und Kooperationsstrukturen im Kinderschutz auch während der Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten worden zu sein. Auch aus Schulen und Kitas gab es weiterhin Hinweise – allerdings etwas weniger oder etwas später als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wäre.

Mit Blick auf die Gesamtzahl an Verdachtsfällen möglicher Kindeswohlgefährdungen zeigen die aktuellen Auswertungen, dass die Jugendämter im Zeitraum Mai 2020 bis März 2021 insgesamt 9% mehr Gefährdungseinschätzungen bearbeitet haben als in den entsprechenden Monaten im Jahr 2019. Damit setzt sich der bereits seit Jahren anhaltende Trend ansteigender Fallzahlen weiter fort und bleibt in derselben Größenordnung wie vor der Corona-Pandemie. Auch hinsichtlich der Merkmale der bearbeiteten Fälle zeigen die aggregierten Ergebnisse überraschend große Konstanz gegenüber den Erfahrungswerten der vergangenen Jahre. Die inzwischen vorliegenden bundesweiten Ergebnisse der amtlichen Statistik für das Berichtsjahr 2020 bestätigen die Kernaussagen der Zusatzerhebung.

Da der Forschungsstand nahelegt, dass es aufgrund zusätzlicher Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Familien während der Corona-Pandemie zusätzliche Gefährdungen gegeben haben müsste und nur ein Teil der Fälle überhaupt bekannt wird, ist nicht auszuschließen, dass trotz des Fallzahlanstiegs das „Dunkelfeld“ nicht entdeckter Gefährdungen weiter gewachsen ist. 

Die Analysen basieren auf den Daten einer zur amtlichen Statistik zusätzlichen Erhebung, die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben worden ist, um aktuelle empirische Erkenntnisse über das Handeln der Jugendämter im Kinderschutz in Corona-Zeiten zu erhalten. Die AKJStat wertet die Ergebnisse der Zusatzerhebung kontinuierlich aus. Die Erhebung wird noch Daten bis einschließlich August 2021 erfassen.

Der aktuelle Werkstattbericht und weitere Informationen sind abrufbar unter:
www.akjstat.tu-dortmund.de/8a-zusatzerhebung

Kontakt

Dr. Thomas Mühlmann

Dr. Julia Erdmann